13
Dezember
2021
|
09:12
Europe/Berlin

Farbenlehre im Blick: Warum ist blauer Wasserstoff so wichtig?

Zusammenfassung

Ein Interview mit Dr. Axel Wietfeld, CEO of Uniper Hydrogen GmbH

Bevor wir zu dem eigentlichen Titel unseres Interviews kommen, erklären Sie bitte kurz, was „blauer Wasserstoff“ ist.

Wietfeld: Wasserstoff gilt weltweit als der zentrale Energieträger, der für die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft benötigt wird. Warum? Weil bei der Verbrennung von Wasserstoff nur Wasser entsteht. Leider kommt Wasserstoff in der Natur in reiner Form nicht in den benötigten Mengen vor, er muss hergestellt werden. Bisher wird Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen gewonnen, zumeist aus Erdgas. Dabei gelangen pro Tonne Wasserstoff rund 10 Tonnen CO2 in die Atmosphäre. Man bezeichnet diesen Wasserstoff auch als „grauen Wasserstoff“. Grauer Wasserstoff ist also keine Lösung für das Klimaproblem. Blauer Wasserstoff wird genauso produziert wie grauer Wasserstoff. Allerdings fängt man im Produktionsprozess das entstehende CO2 ein und speichert es sicher – zum Beispiel in ehemaligen Gas- oder Erdölfeldern. Weil dadurch das klimaschädliche CO2 nicht bzw. nur in geringen Mengen in die Atmosphäre gelangt, trägt dieses Verfahren auch nicht zum Treibhausgaseffekt bei, d.h. blauer Wasserstoff ist im Gegensatz zum grauen Wasserstoff emissionsarm.

Nun gibt es Kritik an blauem Wasserstoff. Einige Stimmen behaupten, er sei gar nicht klimafreundlich, sondern tatsächlich würde er den Klimaeffekt verstärken – was ist dran?

Wietfeld: Ja, es gibt neben vielen Studien die zu einem positiven Ergebnis kommen auch einige kritische. Eine Studie der amerikanischen Wissenschaftler Robert W. Howarth and Mark Z. Jacobson ist intensiv in der Öffentlichkeit diskutiert worden. Denn diese Studie kommt zu dem Ergebnis, dass blauer Wasserstoff eine schlechtere Klimabilanz habe als Kohle. Dazu sei erstmal gesagt, dass wir Diskussionen über Emissionen immer begrüßen, weil wir uns ambitionierte Ziele für den Klimaschutz gesetzt haben und uns natürlich immer verbessern wollen. In der Diskussion um den blauen Wasserstoff wird die gesamte Lieferkette betrachtet und wir arbeiten aktiv daran, bei jedem Prozessschritt klimaschädliche Gase zu vermeiden. Deshalb prüfen wir auch jedes Projekt auf seine Klimaverträglichkeit – so auch den blauen Wasserstoff.

Worauf gründet sich diese Kritik der Autoren?

Wietfeld: Die Kritik der Autoren fußt wesentlich auf eher umstrittenen, teils unrealistischen Grundannahmen. Erstens: Um den blauen Wasserstoff zu produzieren und das CO2 aufzufangen und zum Speicher zu transportieren muss Energie aufgewendet werden. Dieser Kritikpunkt ist im Kern auch völlig richtig. Er gilt aber für alle Arten der Energieproduktion. Das Problem ist, dass die Annahmen der Autoren zum Energieverbrauch bei der Wasserstoffherstellung zu hoch sind und nicht berücksichtigt wurde, dass die benötigte Energie für Produktion und Transport des CO2 ja auch in Form von erneuerbarem Strom zur Verfügung gestellt werden kann. Weiterhin erwarten die Autoren, dass nur 75% des abgeschiedenen CO2 auch tatsächlich eingefangen werden kann. Diese Annahme ist vor dem Hintergrund der technischen Realität dieses Prozesses deutlich zu niedrig angesetzt. Das Verfahren ist grundsätzlich etabliert und wird in der chemischen Industrie sowie bei Biomethan-Anlagen seit Jahrzehnten angewandt. Der Vorgang zur Herstellung blauen Wasserstoffs würde in einer abgeschlossenen Anlage stattfinden. Es ist deshalb zu erwarten, dass die Abscheidung mindestens 95% des CO2 einfangen würde.

Ok, diese Annahmen sind kritisch. Aber die allein können doch noch nicht dazu führen, dass Kohle klimafreundlicher erscheint als blauer Wasserstoff?

Wietfeld: Nein, das stimmt. Der wesentliche Treiber sind Annahmen der Autoren zu Leckagen bei der Erdgasproduktion und dem Erdgastransport. Sie erwarten, dass vom Bohrloch bis zur Wasserstoffanlage 3,5% des Erdgases in Form von Leckagen in die Erdatmosphäre entweichen. Und das ist höchstrelevant, denn Methan ist ein sehr starkes Treibhausgas, um ein Vielfaches stärker als Kohlendioxid. Aber diese Annahme können weder unsere Gaslieferanten noch wir oder irgendeine andere, unabhängige Untersuchungsorganisation nachvollziehen oder bestätigen. Daten der Öl- und Gasproduzenten lassen erwarten, dass die Leckagen bei der Produktion um das 100-fache niedriger sind, als in der Studie angenommen.

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Faktor 100? Aber die Öl- und Gasproduzenten sind vielleicht auch nicht die beste und vertrauenswürdigste Quelle, oder?

Wietfeld: Sicherlich ist die Datenlage über die Methanemissionen verbesserungswürdig. Aber die Produzenten sind an Vorgaben gebunden und verstärken ihr eigenes Monitoring zunehmend. Die EU hat deshalb eine Methanstrategie verabschiedet. Auf dieser Basis soll noch im Lauf dieses Jahres eine Gesetzesinitiative angestoßen werden, um ein umfassendes Monitoring, Prüfen und Reporting der Methanemissionen aufzubauen. Ein umfassendes Monitoring ist die Voraussetzung für eine Senkung der Emissionen; ohne eine Prüfung durch unabhängige Experten geht das selbstverständlich auch nicht. Und – ohne die Ergebnisse des Monitorings abzuwarten – haben EU und USA bereits avisiert, die Methanemissionen bis 2030 um ein Drittel zu senken. Das heißt, hier gibt es die klare Erwartung, dass die Industrie intensiv an der Vermeidung von Methanemissionen arbeitet. Und das ist auch extrem wichtig. Denn Methan ist nicht nur ein äußerst potentes Klimagas, es zeichnet sich auch durch eine relativ kurze Lebensdauer in der Erdatmosphäre aus. Das heißt, jede Einsparung, die wir heute vornehmen, wird bereits in wenigen Jahren spürbar positive Effekte auf die Klimaziele haben. Deshalb ist es wichtig und richtig, bei den Methanemissionen schnell und effektiv zu handeln. Aber – mit Blick auf die erwähnte Studie – bedeutet das auch, dass die ohnehin an Extremfällen orientierenden Annahmen sich noch weiter von der Realität entfernen.

Aber wäre es trotzdem nicht die bessere Variante, den Wasserstoff mittels Elektrolyse aus erneuerbarem Strom herzustellen und somit Methan- und CO2-Emissionen gänzlich zu vermeiden?

Wietfeld: Selbstverständlich, denn in diesem sogenannten „Grünen Wasserstoff“ liegt die Zukunft! Aber er steht heute und in naher Zukunft leider noch nicht in größeren Mengen zur Verfügung. In Deutschland sind Elektrolyseure mit einer Kapazität von insgesamt 10 GW geplant, die ausreichen sollen, um bis 2030 etwa 30 TWh grünen Wasserstoff pro Jahr zu produzieren. Das entspricht dem heutigen Gasverbrauch von acht bis zehn Wintertagen und reicht demzufolge alleine nicht aus. Blauer Wasserstoff ist kurzfristig verfügbar; die Technologie der CO2-Abscheidung ist erprobt und die Gasproduzenten vor allem in Norwegen haben bereits langjährige Erfahrung mit der CO2-Speicherung. Deshalb müssen wir das eine tun, ohne das andere zu lassen. Das heißt, den blauen Wasserstoff kurzfristig zu nutzen, um der Dekarbonisierung den Schnellstart zu ermöglichen. Und parallel muss die grüne Wasserstoffwirtschaft aufgebaut werden, um die Energiewende weiter zu beschleunigen und dann den blauen Wasserstoff sukzessive durch grünen zu ersetzen. Eine nachhaltige Transformation unserer Energiewelt kann nur gelingen, wenn wir jetzt technologieoffen bleiben und schnellstmöglich Projekte im industriellen Maßstab realisieren. Wir wollen grünen Wasserstoff zu einem der wichtigsten Energieträger unserer Energiezukunft machen. Bis grüner Wasserstoff in den notwendigen Mengen verfügbar ist, halten wir es für die Übergangszeit aber für nötig, auch auf andere Farben wie blauen Wasserstoff zu setzen.

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